Berlin (scp) – „Die stationären Pflegeeinrichtungen können kaum noch ihren Bedarf an qualifizierten Fachkräften abdecken", machte Michael Wipp, Geschäftsführer Qualitätsmanagement EMVIA LIVING GmbH, auf dem 24. Bundeskongress für Leitungskräfte in der Altenhilfe des DVLAB in Berlin deutlich. „Zur Quotenerfüllung der Fachkraftquote und zur Abwendung eines Belegungsstopps wird jeder Bewerber eingestellt. Nicht die Qualität zählt, sondern die Quantität."
Welcher ist der beste Personalmix in der Altenpflege? Diese Frage galt es für Wipp zu beantworten. Und er weiß, ein Zusammenhang zwischen der aktuellen Auslegung der Fachkraftquote und der Ergebnisqualität besteht nachweislich nicht.
„Der Einführung der Fachkraftquote im Jahr 1993 liegt ein aus heutiger Sicht altes Verständnis von Pflege zugrunde. Wir hatten damals eine völlig andere Ausgangslage, ohne Qualitätssicherung. Seitdem wird die Fachkraftquote im Gießkannenprinzip über alle Bereiche der Langzeitpflege gegossen."
Michael Wipp
So wird denn auch eine wirklich nennenswerte Personalaufstockung (womöglich im Rahmen der Vorlage eines Personalbemessungssystems Mitte 2020, Anm. d. Redaktion) zum sofortigen Ende der Fachkraftquote und zu einer noch weiteren Anzahl an Belegungsstopps führen, weil der Arbeitsmarkt für Pflegefachkräfte kaum mehr Personal hergibt. „In etlichen Regionen ist die Fachkraftquote längst kollabiert", machte Wipp auch deutlich. „Wir sollten uns vom Quotenerfüllungsprinzip („jede Pflegefachkraft wird eingestellt") verabschieden und der Öffentlichkeit keine Pseudoqualität mehr vorgaukeln."
Völlig unklar sei zudem, auf welcher Basis die im Moment geltenden Personalrichtwerte in den einzelnen Bundesländern errechnet wurden. Daraus folge, dass letztlich jedes Bundesland in der Pflege von einem unterschiedlichen Fachkrafteinsatz ausgeht. Wer zudem Fachkraft ist, werde derzeit von Bundesland zu Bundesland anders beurteilt.
Der Widersinn der heutigen Fachkraftquote mache sich auch darin deutlich, dass bei niedrigeren Pflege-Personalschlüsseln die Quote ggf. besser eingehalten werden könne, da dann nicht so viele Fachkräfte nötig seien.
„Bedeutet es wirklich den Untergang der Welt, wenn eine Nichtfachkraft in Richtung des Medikamentenschranks läuft?"
Michael Wipp mit Blick auf Leistungsmöglichkeiten von Hilfskräften
Wipp fordert, dass nicht der Aufenthaltsort des Leistungsempfängers, sondern die Anforderung an die Qualität der Leistungserbringung entscheidend sein müsse. Anders ausgedrückt: Die Qualifikationen der Leistungserbringung kann nicht davon abhängig sein, ob ambulant oder stationär gepflegt wird.
So bestimme sich die stationäre Fachkraftquote nach der Bewohnerzahl und den Pflegeschlüsseln (quantitative Regelung über 50 %), die „Ambulante Fachkraftquote" gehe dagegen von tätigkeitsbezogenen Qualifikationsvorgaben (qualitative Regelung über Leistungen) aus.
„Wer erstellt die Dienstpläne und versucht händeringend qualifizierte Fachkraft zu finden? Berufsverbände ? Gewerkschaften? Pflegekammern?"
Michael Wipp zu Äußerungen „Externer" zum Thema Fachkraftquote
Im Folgenden erläuterte Wipp die Möglichkeiten in Baden-Württemberg und Brandenburg, von der Fachkraftquote abzuweichen, wenn ein entsprechendes Konzept vorgelegt wird, mit dem die Sicherstellung der Leistungserbringung gewährleistet wird. Genau geklärt worden sei dabei, für welche Leistungen Fachkräfte eingesetzt werden müssen.
Denn, warum sollen beispielsweise Hilfskräfte nicht auch Leistungen der Behandlungspflege übernehmen können? Hier verweist der Pflegefachmann auf Konzepte zur Übernahme von Maßnahmen der „einfachen" Behandlungspflege durch Pflegehilfskräfte (Konzept assistierende Hilfskräfte) in Brandenburg. Dies setze entsprechende Voraussetzungen voraus sowie Schulungsbedarf. Ambulant sei dies vielerorts längst üblich, so Wipp.
„Anstatt irgendwelche Pflegefachkräfte einzusetzen, um damit die Quote zu erfüllen, sollten wir den für die Pflege in unseren Pflegeeinrichtungen tatsächlich notwendigen Personalmix offensiv diskutieren. Das ist Konzeptarbeit. Viele Landesheimgesetze sehen bereits heute eine solche Erprobungsmöglichkeit vor."
Michael Wipp
Bedeutet die Vorhaltung von 50 Prozent Fachkräfte, dass es tatsächlich 50 Prozent an Leistungen gibt, die die Fachkraftqualifikation bedürfen, fragt sich Wipp, und betont: „Die größten Profiteure der Fachkraftquote sind die Zeitarbeitsfirmen. Ihnen kann nichts Besseres passieren als die Vorgabe von Fachkraftquoten in der Pflege".
Zu bedenken gibt Wipp auch, dass Studien davon ausgehen, dass die Fachkräftelücke reduziert werden könnte, wenn Pflegebedürftige in nicht stationären „bedarfsgerechten Versorgungsformen versorgt werden" (u. a. Studie der Bertelsmann Stiftung, 2014). „Heißt das", so Wipp, dass „es bei anderen Versorgungsformen einer anderen Qualifikation für die identische Leistung bedarf?"
„Die Hoffnung besteht, dass die Fachkraftquote mit der Vorlage (und dann auch Umsetzung) des gesetzlich vorgebebenen Personalbemessungsverfahren Mitte des Jahres 2020 fällt", zog Wipp ein Fazit. Bis dahin würden sich die Länder jedoch zurückhalten, befürchtet er. „Warum sollten diese jetzt aktiv werden. Doch: Vor Ort wissen wir häufig kaum noch, wie wir die Fachkraftquote erfüllen können."
Wipp forderte daher alle Verantwortlichen dazu auf, den Mut zum Eingeständnis zu haben, „dass die Fachkraftquote in ihrer antiquierten Ausrichtung nicht mehr zu den heutigen Anforderungen passt, der Fachkräftebedarf nach der gegenwärtigen Quote nicht mehr quantitativ sicherzustellen ist und die Quote ohnehin kein Qualitätskriterium darstellt".
Es sei Zeit, „Neues und Zeitgemäßes zu wagen, das den heutigen vielfältigen Anforderungen an eine zeitgemäße professionelle Pflege- und Betreuungsarbeit entspricht". Dazu gehöre die Definition von qualitativen, nicht quantitativen Kriterien, die Berücksichtigung der Vielfalt der Leistungsangebote und der Festlegung des dafür erforderlichen Personalmixes ebenso, wie die Berücksichtigung der heutigen Erwartungen an Pflege und Betreuung der unterschiedlichen Klientel.
Benötigt werde im Rahmen einer „qualitativen Fachkraftquote" ein gezielter, tätigkeitsbezogener Fachkrafteinsatz, der Vorbehaltsaufgaben für die Fachkräfte definiert und bei dem Einrichtungskonzept und Personaleinsatz übereinstimmen – abseits der von Lobbyisten formulierten Erwartungen
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